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Was
ist los mit unserem Verhältnis zum
Tod ?
Einerseits
ist er allgegenwärtig, Krimis usw.
mit all ihren Toten boomen; doch kaum gibt
es reale Tote, werden sie sofort
versteckt, verborgen gehalten.
Eine
essayistische Passage über die
biochemischen Zustände, die ein
Körper nach seinem Tod
durchläuft und den traditionellen
Umgang damit, bildet den Anfang des
Buches; abgeschlossen wird es damit, dass
Karl-Ove ein zweites Mal im
Begräbnisinstitut seinen toten Vater
aufsucht, um dessen Tod langsam
tatsächlich glauben zu
können.
Knausgard
schildert in zahlreichen, oft irritierend
beliebig konstruierten Rückblenden
Elemente seiner Kindheit und Jugend, die
auch hierzulande jeder Leser seiner
Schicht und Generation so oder so
kennt:
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Die
ersten Anbändelungsversuche mit Mädchen,
Partys und Saufgelage, bevorzugte Musik, eine
eigene Band, Ärger mit Eltern und Lehrern -
das vermittelt nichts Neues und muss es auch nicht,
wenn Form und Sprache überzeugen. Distanz oder
Selbstironie sucht man fast vergebens.
Die
Dialoge sind von einer Originalität ganz wie
im Leben: ",Hallo, Harald', sagte ich und
lächelte ihn an. Tove, die auf dem
Beifahrersitz saß, drehte sich zu mir um.
,Hallo, Karl Ove', sagte sie. ,Schön, dich zu
sehen.' ,Hallo', sagte ich. ,Und frohe Weihnachten
nachträglich.' ,Dann wollen wir mal', sagte
Gunnar."
Mindestens
ein Drittel des 575 Seiten umfassenden Buchs
schildert die Reinigung des Hauses, die beim
Ich-Erzähler mit dem Versuch einer inneren
Reinigung, einer Katharsis gekoppelt wird.
Knausgard zählt Flecken und Putzmittel auf, er
ist bei jeder Zigarette, jeder Kleinigkeit ganz mit
dabei; und denkt über sein Elend nach: Ein
Sohn, der vergebens nach der Anerkennung des Vaters
suchte und es ihm als angehender Autor zeigen
wollte. Einer, der beim Anblick von Kunst und beim
Schreiben weint und sich seiner selbst nicht sicher
ist; deshalb verschließt er sich nach
außen.
Auch
wenn das Buch von Karl-Ove Knausgard erzählt
wird - die größte Rolle spielt darin der
Vater, wenn auch häufig nur als drohender
Schatten.
Es
ist keine unbeschwerte, liebevolle Beziehung, die
Vater und Sohn hier erlebt haben. Der Vater wird
als allmächtig erlebt, als allwissend (woher
weiß er, dass der Junge im Garten hinterm
Haus verbotenerweise gelaufen ist, was er doch gar
nicht sehen konnte?) und unberechenbar. Und es ist
gerade die Tatsache, dass es auch gute Momente mit
ihm gab, die ein eindeutiges Verhältnis so
schwierig machen. Die Eltern trennen sich; der
Vater geht eine neue Beziehung ein, hat noch einmal
eine Tochter, aber vor allem beginnt er zu dieser
Zeit zu trinken. Bis er sich schließlich bei
seiner Mutter einquartiert und dort zu Tode
säuft.
Und
nun ist er, Karl-Ove Knausgard, der eigentlich
aufgrund des fehlenden Vatervorbilds für sich
Bedenken hatte, dieser Rolle gerecht zu werden,
selbst Vater dreier kleiner Kinder, mit allen
Höhen und Tiefen. Als er so alt ist, wie sein
Vater bei der Trennung war, beginnt er sich immer
mehr mit ihm zu vergleichen, nicht nur, weil er ihm
auch optisch so ähnlich ist. Er stellt auch
immer stärker Charakterähnlichkeiten
fest, mit denen er sich intensiv auseinander zu
setzen beginnt - und darüber dann zu schreiben
beginnt, was nun in diesem Buch zu lesen
ist.
Karl
Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als
wichtigster norwegischer Autor seiner Generation.
Als erster Debütant überhaupt bekam er
den Norwegischen Kritikerpreis verliehen. "Alles
hat seine Zeit", sein zweiter Roman und vielfach
preisgekrönt, war nominiert für den
Nordischen Literaturpreis und den internationalen
IMPAC Dublin Literary Award. "Sterben" - der erste
Roman eines sechsbändigen, autobiographisch
angelegten literarischen Projektes, das in Norwegen
zur literarischen Sensation wurde - war das meist
diskutierte Buch der letzten Jahre, stand
monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste,
wurde mit dem wichtigsten norwegischen
Literaturpreis, dem Bragepreis ausgezeichnet, in
der Zeitung VG zu einem der besten Bücher der
letzten zehn Jahre gewählt sowie von den
Lesern der Tageszeitung Morgenbladet zum Buch des
Jahres. Im Luchterhand Verlag wird nach "Sterben"
demnächst auch der gleichfalls gefeierte
zweite Roman "Lieben" erscheinen. Karl Ove
Knausgård lebt mit seiner Familie in
Malmö.
Ove
Knausgård, "Sterben" ist im Luchterhand
Literaturverlag, München am 8. März 2011
erschienen,
umfasst 576 Seiten und ist unter der ISBN
9783630873510 um 23,70 EUR im österreichischen
Buchhandel erhältlich.
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