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G E R D ' s

E L E V E N T Y

B E R G L I C H T

Thomas Buchtipp

Was ist los mit unserem Verhältnis zum Tod ?

Einerseits ist er allgegenwärtig, Krimis usw. mit all ihren Toten boomen; doch kaum gibt es reale Tote, werden sie sofort versteckt, verborgen gehalten.

Eine essayistische Passage über die biochemischen Zustände, die ein Körper nach seinem Tod durchläuft und den traditionellen Umgang damit, bildet den Anfang des Buches; abgeschlossen wird es damit, dass Karl-Ove ein zweites Mal im Begräbnisinstitut seinen toten Vater aufsucht, um dessen Tod langsam tatsächlich glauben zu können.

Knausgard schildert in zahlreichen, oft irritierend beliebig konstruierten Rückblenden Elemente seiner Kindheit und Jugend, die auch hierzulande jeder Leser seiner Schicht und Generation so oder so kennt:

Die ersten Anbändelungsversuche mit Mädchen, Partys und Saufgelage, bevorzugte Musik, eine eigene Band, Ärger mit Eltern und Lehrern - das vermittelt nichts Neues und muss es auch nicht, wenn Form und Sprache überzeugen. Distanz oder Selbstironie sucht man fast vergebens.

Die Dialoge sind von einer Originalität ganz wie im Leben: ",Hallo, Harald', sagte ich und lächelte ihn an. Tove, die auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu mir um. ,Hallo, Karl Ove', sagte sie. ,Schön, dich zu sehen.' ,Hallo', sagte ich. ,Und frohe Weihnachten nachträglich.' ,Dann wollen wir mal', sagte Gunnar."

Mindestens ein Drittel des 575 Seiten umfassenden Buchs schildert die Reinigung des Hauses, die beim Ich-Erzähler mit dem Versuch einer inneren Reinigung, einer Katharsis gekoppelt wird. Knausgard zählt Flecken und Putzmittel auf, er ist bei jeder Zigarette, jeder Kleinigkeit ganz mit dabei; und denkt über sein Elend nach: Ein Sohn, der vergebens nach der Anerkennung des Vaters suchte und es ihm als angehender Autor zeigen wollte. Einer, der beim Anblick von Kunst und beim Schreiben weint und sich seiner selbst nicht sicher ist; deshalb verschließt er sich nach außen.

 

Auch wenn das Buch von Karl-Ove Knausgard erzählt wird - die größte Rolle spielt darin der Vater, wenn auch häufig nur als drohender Schatten.

Es ist keine unbeschwerte, liebevolle Beziehung, die Vater und Sohn hier erlebt haben. Der Vater wird als allmächtig erlebt, als allwissend (woher weiß er, dass der Junge im Garten hinterm Haus verbotenerweise gelaufen ist, was er doch gar nicht sehen konnte?) und unberechenbar. Und es ist gerade die Tatsache, dass es auch gute Momente mit ihm gab, die ein eindeutiges Verhältnis so schwierig machen. Die Eltern trennen sich; der Vater geht eine neue Beziehung ein, hat noch einmal eine Tochter, aber vor allem beginnt er zu dieser Zeit zu trinken. Bis er sich schließlich bei seiner Mutter einquartiert und dort zu Tode säuft.

Und nun ist er, Karl-Ove Knausgard, der eigentlich aufgrund des fehlenden Vatervorbilds für sich Bedenken hatte, dieser Rolle gerecht zu werden, selbst Vater dreier kleiner Kinder, mit allen Höhen und Tiefen. Als er so alt ist, wie sein Vater bei der Trennung war, beginnt er sich immer mehr mit ihm zu vergleichen, nicht nur, weil er ihm auch optisch so ähnlich ist. Er stellt auch immer stärker Charakterähnlichkeiten fest, mit denen er sich intensiv auseinander zu setzen beginnt - und darüber dann zu schreiben beginnt, was nun in diesem Buch zu lesen ist.

Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor seiner Generation. Als erster Debütant überhaupt bekam er den Norwegischen Kritikerpreis verliehen. "Alles hat seine Zeit", sein zweiter Roman und vielfach preisgekrönt, war nominiert für den Nordischen Literaturpreis und den internationalen IMPAC Dublin Literary Award. "Sterben" - der erste Roman eines sechsbändigen, autobiographisch angelegten literarischen Projektes, das in Norwegen zur literarischen Sensation wurde - war das meist diskutierte Buch der letzten Jahre, stand monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste, wurde mit dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis, dem Bragepreis ausgezeichnet, in der Zeitung VG zu einem der besten Bücher der letzten zehn Jahre gewählt sowie von den Lesern der Tageszeitung Morgenbladet zum Buch des Jahres. Im Luchterhand Verlag wird nach "Sterben" demnächst auch der gleichfalls gefeierte zweite Roman "Lieben" erscheinen. Karl Ove Knausgård lebt mit seiner Familie in Malmö.

 

Ove Knausgård, "Sterben" ist im Luchterhand Literaturverlag, München am 8. März 2011 erschienen,
umfasst 576 Seiten und ist unter der ISBN 9783630873510 um 23,70 EUR im österreichischen Buchhandel erhältlich.

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